Besitzt der Mittelmeerraum einen gemeinsamen Rhythmus, der die mediterranen Orte sich ähneln lässt und diese gleichsam von Orten anderer Gegenden unterscheidet? Gibt es also das typisch Mediterrane in den Rhythmen? Instinktiv bemühen wir bei dieser Frage Bilder und Erfahrungen, die wir als Reisende in den Ländern des Mittelmeerraumes gemacht haben: Rhythmen der Bewegung von Menschen, Dingen, Gestirnen, Winden und Wellen. Aber wie gehen wir diese Frage wissenschaftlich an? Wie können wir etwas Nachvollziehbares und Befundetes darüber aussagen? In ihrer Rhythmusanalyse entwickeln Lefebvre und Régulier einen möglichen Zugang.
«Rhythm reunites quantitative aspects and elements, which mark time and distinguish moments in it – and qualitative aspects and elements, which link them together, found the unities and result from them. Rhythm appears as regulated time, governed by rational laws, but in contact with what is least rational in human being: the lived, the carnal, the body. Rational, numerical, quantitative and qualitative rhythms superimpose themselves on the multiple natural rhythms of the body (respiration, the heart, hunger and thirst, etc.), though not without changing them. The bundle of natural rhythms wraps itself in rhythms of social or mental function.»1
Lefebvre beschreibt die mediterrane Stadt als eine Bühne, als «theatrical city».2 Aber für wen ist diese Stadt eine Bühne? David Schneider etwa vergleicht jede Kultur mit einer Theaterbühne, auf der sich das Individuum bewegt. Normen dienen Spieler als Drehbuchanweisungen3, und von Erving Goffmans (1963) Stigmaanalyse stammt die frontstage-backstage Analogie, die bei ihm ebenfalls nicht kulturspezifisch zu sein scheint. Was aber unterscheidet die mediterranen Bühnen, die ich am Beispiel von Tanger und Gibraltar untersuche, von denen anderer Kulturen? Im deutschen Protestantismus, in dem innen und aussen in eins fallen sollen, gilt das Theaterhafte als Ausdruck der Falschheit. Michael Foucault nennt das Hervorzerren der inneren Wahrheit durch Geständnistechniken als ein zentrales Kennzeichen der Moderne. Für den spanischen Philosophen Ortega y Gasset wäre daher der Charakter der Andalusier vormodern, da er narzisstisch zur theaterhaften Selbstinszenierung neige4. Aber an wen ist die Theatralisierung gerichtet? Wer beurteilt, ob es sich um ein Theater handelt, um etwas Inszeniertes, um Wirkung zu erzielen? Für wen ist das Theater eitles Spiel und für wen ist es unreflektierte Selbstverständlichkeit?
Lefebvre & Régulier behaupten, der Tourismus verstärke die Bühnenhaftigkeit des mediterranen Rhythmus der Städte – «tourism is added to the traditional and customary use of space and time, of monumentality and rhythms ‹of the other› without making it disappear»5. Aber wenn dem so ist, dann muss die Bühnenhaftigkeit schon zuvor dagewesen sein.
Befunde werden hierfür nicht geliefert, dabei wäre wohl gerade das spannend: war nicht das Leben in der Vormoderne Nordeuropas genauso öffentlich und sinnennah wie jenes im Mittelmeerraum? Vor allem – und das würde den Ethnologen besonders interessieren: Nehmen die BewohnerInnen der Städte diese Rhythmen überhaupt wahr? Und wenn ja, was bedeuten sie ihnen? Es ist vielsagend, dass Lefebvre & Régulier ein nicht näher bezeichnetes «rätselhaftes Individuum» als RhythmusanalystInnen durch die mediterrane Stadt streichen lassen, so als handle es sich um Walter Benjamins Flaneur:
«It is thus that we can try and draw the portrait of an enigmatic individual who strolls with his thoughts and his emotions, his impressions and his wonder, through the streets of large Mediterranean towns, and whom we shall call the ‹rhythmanalyst›. More sensitive to times than to spaces, to moods than to images, to the atmosphere than to particular events, he is strictly speaking neither psychologist, nor sociologist, nor anthropologist, nor economist; however he borders on each of these fields in turn and is able to draw on the instruments that the specialists use. He therefore adopts a transdisciplinary approach in relation to these different sciences. He is always ‹listening out›, but he does not only hear words, discourses, noises and sounds; he is capable of listening to a house, a street, a town as one listens to a symphony, an opera. Of course, he seeks to know how this music is composed, who plays it and for whom.»6
Es ist zu vermuten, dass es sich bei dem rätselhaften Individuum weder um ein einheimisches Fischweib noch um einen Hotelangestellten oder ein Schulkind handelt, sondern um einen Fremden von aussen, einen Reisenden, eine Touristin, einen Künstler oder eine Wissenschaftlerin. Meine konkrete Leitfrage im Folgenden wird sein, in welcher Hinsicht es einen gemeinsamen Rhythmus der beiden Teile jener Stadt gibt, die ich programmatisch TanGib (Tanger und Gibraltar) nenne: In welcher Hinsicht lässt sich von einer boughazidad (Boughaz = Meerenge von Gibraltar, auf Arabisch, -idad = -ität/-schaft auf Spanisch) – also einer ‹Meerengenschaft› – sprechen. Schauen wir die lokalen Befunde und Erfahrungen genauer an.
Träume und Flüge
Mein Ort des Träumens: das Café Makina, an dem sich während meiner Forschung mein Geist öffnen konnte. Die beiden Meere, die Küste, Spanien und Gibraltar gegenüber … Ja, El Boughaz löst die Sinne. Ohne Haschish. Das war Frieden, bevor das Makina im Zuge der urbanistischen Neugestaltung Tangers gewissermassen der modernistischen Sandabstrahlung anheimgefallen ist, um das kulturelle Erbe der Stadt – und die Stadtmauer, in der das Makina eingepasst war, ist zentraler Bestandteil dieses Projektes – zu bergen.7
Ich befreie mich von meinen Anspannungen und blicke über das «Gässchen». So nennen die Tanjawis den Boughaz, die Meerenge von Gibraltar. Während meines Jahres in Tanger – 2013-14 – liessen meine Gedanken meinen inneren Wiedehopf losfliegen. Weil «in uns (…) ein Wiedehopf» ist, der uns daran erinnert, «dass die Suche, sei es die metaphysische, sei es die konkrete nach einer Heimat, unser Schicksal ist, dass wir zu Hause gar nicht zu Hause sind, dass wir in dem, was wir lieben, womöglich nur gefangen sind, und dass es in uns etwas gibt, was uns hinaustreibt – sei es in die große, weite und fremde Welt oder in höhere Sphären: «In uns jedoch ist ein Wiedehopf.»8 Zu Hause? Vielleicht im Flug des Wiedehopf. Auf jeden Fall ist das Zuhause nicht unbedingt ein Ort, ein Haus. Eher ein existenzieller Ort: Im Islam wird der Mensch in sich selbst als ein Fremder auf Erden in dieser Welt betrachtet. Weidner spricht von «Welt als Ausländer oder Exil, Gurba» und «Fremdheit als conditio humana». Mein Wiedehopf fliegt über die Meerenge.
Das Cafe Makina war für mich gelebte Kultur in einer Nische, die – aus meiner Sicht – der neoliberalen Modernisierung noch entgangen war. Ich muss zugeben, dass ein guter Ethnologe danach gefragt hätte, was die Besucher über die Veränderungen des Makina dachten… Das habe ich sträflicherweise unterlassen. Für mich war das Makina eine Enklave jenseits des neoliberalen Zugriffes, wo man in Ruhe und mit wenig Geld tabla spielen und Fußball schauen konnte. Im Hauptraum hängen verblichene Fotografien des alten Tanger sowie Holzboote auf Konsolen. Der Tee kostet fünf Dirham. Der Name des Cafés stammt von den kleinen Tischchen mit den rundgefrästen Löchern, in die man die heißen Gläser perfekt einstellen konnte. Tischchen, auf denen früher die Singernähmaschinen standen.
Alte und junge Männer unter sich – und nun? Das Café Makina ist für mich zu einem magischen und meditativen Ort geworden, deshalb bin ich oft hierher gekommen, um meine Spaziergänge und Ausflüge in die Stadt zu unternehmen. Dies versprach mir die Erfahrungen, die viele im weitaus bekannteren Café Hafa in Mershan finden. 1921 gegründet, wurde es berühmt durch Paul Bowles, Mick Jagger und die unvermeidliche deutsche Hippie-Ikone Uschi Obermaier und ist in allen Reiseführern zu finden. Auf den Terrassen mit atemberaubendem Blick über die Straße von Gibraltar leben heute junge Leute der Mittelklasse. Vor kurzem sah man Claudia Roth hier Tee trinken. Über das Café Hafa ist viel geschrieben worden, Expat-Schriftsteller haben das Café und den Felsen als mythische Orte der Nostalgie verewigt, wo sie ihre Gedanken mit einem Glas Minztee und einer Kif-Pfeife loslassen können. Vor allem die Marokkaner selbst, die nur 14 Kilometer vom gelobten Land entfernt sind, erfahren hier ihre brennende Sehnsucht: Man ist in Reichweite der ersehnten anderen Seite, aber nur in der Nähe, die unzugänglich bleibt. In Gibraltar notiere ich:
«Ich gehe auf das Obergeschoss des Universitätsgebäudes, in dem sich das Café befindet. Von da soll man einen wunderbaren Ausblick über die Meerenge haben. Und tatsächlich: ist es atemberaubend. Gegenüber Jebel Musa, dann Algeciras, dann die Bucht und The Rock. Mir kommt fast das Heulen. So schön ist es hier. Das Wetter ist auch großartig.»9
Das sind wir aber noch an Land. Was geschieht auf dem Meer?
Boughaz – Straits – Estrecho
Wie war der erste Eindruck jener, die Tanger von Gibraltar aus erreichten? Reiste man vor 1860 nach Tanger, so musste man die faluccas nehmen. Diese verfügten über Kabinen, die ihren Namen aber wohl nicht verdienten. Ein Reisender schreibt 1857: «There was not in it one single article of furniture of any kind, except a few narrow, thin mattresses, which were spread out in the floor, without sheets, pillows ot blankets.»10 Die Passagiere verharrten so oft während der Überfahrt – die zwischen 12 und 30 Stunden dauern konnte – lieber an Deck.11 Blicken wir auf Berichte derjenigen einiger, die diese Überfahrt auf sich nahmen:
Ali Bey (1814: 3) beschreibt die Ankunft im Hafen von Tanger als einen Traum und ein Eintreten in eine absolut neue Welt, die sich von Gibraltar so unterscheidet wie Frankreich von China, als ob man sich auf einem anderen Planeten befinde.
G. Fort (1859: 64) war positiv von Tanger überrascht, als er von Gibraltar aus dort ankam: er hielt die Stadt für «cheerful and bright.»
Hans Christian Andersen gelangte am 2.11.1862 per Schiff von Gibraltar nach Tanger, wo er bis zu seiner Abreise am 9.11. als Gast von Sir John Drummond Hay in dessen Villa Ravensrock verblieb. Über die Überfahrt schreibt er:
«Die Crew an Bord des Dampfschiffes war nur Mauren, unser Mieter empfahl uns einem von diesen, der der Chefkamerad war. Das Schiff gehörte zu den ganz Kleinen und neigte sich schwer auf dem sich bewegenden See; Wir steuerten über die Bucht nach Algeciras und gingen dann die spanische Küste entlang, die nackt und felsig war, direkt unter Tarifa. (…) Der gesamte Süden Europas ist ein wildes Bergland, ausgebrannt und menschenleer. Die Stadt Tarifa versteckte sich hinter nackten schwarzen Felsen. Nur eine alte, grasbewachsene Art, das vierzehnte Jahrhundert, umgeben von schreienden Vögeln. Afrika, das wir von Tarifa aus in Richtung Tanger angesteuert hatten, lag lächelnd und fruchtbar da.
Oben hinter Ceuta erhob sich das Land prächtig mit drei Bergregalen, eines hinter dem anderen, eines höher als das andere, und eines davon so zersägt, wie es Monserrat von Barcelona war. Wenn sich die Küste von der Meerenge bis zum Atlantik in Richtung Tanger erstreckt, wird sie immer niedriger und weist grüne Hügel auf (…). Mit weißen Wänden, abgeflachten Häusern und einer kalkweißen Festung erschien Tanger. Hinter der Stadt erschien eine kleine Probe des gelben Wüstensandes, und darüber fuhr ein Zug geladener Kamele. Hier gibt es keinen Hafen, keinen Sprung gegen den hügeligen See, auch die lange, starke Mole wurde von den Europäern zerstört, bevor sie Tanger als ihren Besitz verließen. Das Dampfschiff hielt ziemlich weit an und warf Anker; Ein Paar, das mit halbnacktem, gebräuntem Maurer badete, kam in starken Jahren zu uns; schreiend und winkend drangen sie in die Treppe des Schiffes ein.»12
1879 ist Gibraltar täglich (ausser Freitags) durch drei kleine Schiffe mit Tanger verbunden, schreibt Oskar Lenz.13 Dezidiert fokussiert er auf die Passage selbst. Manchmal fahren die Schiffe später ab, weil die Kapitäne sich ein «Geschäftchen» damit machen, Segelschiffen als Schleppkähne zu dienen. Bei schlechtem Wetter werden die Boote «herumgeworfen», dass man glaube, «es müsse jeden Augenblick auseinanderbersten». Durch die «schadhaften» Kajütenfenster platzen die Wellen, wo sie die «Effecten der Reisenden gleichmässig durchnässen.» Jüdische Reisende «jammern laut», Araber «rufen resigniert Allah Kebir» und die Europäer befinden sich in einem «unbeschreiblichen Zustande» der Erstarrung. Der Anblick von Tanger wirkt vom Schiff aus «recht freundlich»; Lenz beschreibt Landschaft und Stadt wohlwollend. Einige Hotels seien recht erträglich und die Stadt besitze eine funktionierende Strassenreinigung. Nirgends aber vergleicht er die beiden Städte miteinander.
Stoddard (1892: 210) meinte, man sei in «another sphere» geraten, als man die Strasse von Gibraltar überquert habe. De Amicis (1897: 3-4) schreibt über die Passage, allerdings weniger über die Gedanken und Gefühle, die ihn dabei übermannen, als über seine Beobachtung der Passagiere: «The more noticeable on the outward trip from Gibraltar. Here still ferments the noisy, feverish, brilliant life of a European city, and the traveller, from whatever quarter of Europe he may hail, yet feels himself at home in numberless familiar customs and aspects of life. Three hours later, and the very name of our Continent sounds strange; Christian signifies enemy, and our civilization is unknown, or feared, or scoffed at. Everything, from the very foundations of society to the most trifling details of private life, is metamorphosed, and all indication of the close proximity of Europe has completely disappeared. We suddenly find ourselves in an unknown land, without ties of any kind, and with everything to learn. To be sure the European coast is still visible from the shore, but in our hearts there is a consciousness of immeasurable distance, as though that narrow strip of water were an ocean, those blue, distant hills a delusion.”
Du Taillis nennt Gibraltar und Tanger eine Antithese. «Tout ici disposé, préparé dans la stérilité du rocher pour l’oeuvre vaine des batailles. Et là, sur ce sol vierge et déjà fécond, les gerbes d’or et les vertes prairies invitant au pacifique labeur les énergies de notre siècle et de notre race.» Aber eine Gemeinsamkeit: Gibraltar sei nicht Europa und Tanger sei nicht Afrika. «Gibraltar et Tanger, c’est le détroit, la route des mondes. Quelques milles seulement de distance, ce sont les deux points du globe également bien placés pour dominer l’univers.»14 Twain (1920: 64) schreibt: «We have had enough of Spain and Gibraltar for the present. Tangier is the spot we have been looking for all the time. (…) We wanted something thoroughly and uncompromisingly foreign (..) And lo! In Tangier we have found it. (…) Tangier is a foreign land if ever there was one.»
Ali Bey, Fort, Andersen, Stoddard, Du Taillis und Twain beschreiben vor allem Tanger und Gibraltar (Europa), lediglich Lenz und de Amicis schreiben über die Passage selbst. Bei den Vergleichen zwischen Hier und Dort manifestieren sich Phantasien von Europäern, die nicht aus der Region kommen: Ali Bey (Pseudonym), Fort, Lenz, Stoddard, de Amicis, Du Taillis, Twain … man könnte die Namen der MalerInnen und Literaten, der Beat Generation, der Hippies und auch den Namen des einen oder anderen Forschers hinzufügen. Für die meisten hier zitierten Reisenden stellen beide Städte Antithesen (Du Taillis, Stoddard) dar, einander fremde (Ali Bey, Twain) oder unbekannte (de Amicis) Länder.
Meine eigene erste Überfahrt im Februar 2013 findet nicht über Gibraltar statt (es gab damals keine Fährverbindung), sondern über Tarifa. Mein Tagebuch vermerkt jedoch etwas Verbindendes zwischen Tanger und Gibraltar:
«Auf der Fähre (…) bloß eine Handvoll Gäste, vielleicht 20 Marokkaner und 5 Europäer, also nahezu menschenleer über die Straße von Gibraltar, eine wahrhaft einsame Fahrt auf dieser mythischen Strecke. Wir mussten uns an den Schalter anstellen, hinter dem ein Beamter im dick gefütterten Mantel saß und die Pässe stempelte und Einreiseformulare entgegennahm. Die Fähre hatte man wohl von einer griechischen Kompanie abgekauft oder sie tuckerte jedenfalls früher in der Ägäis: hinter dem Beamten keine Karte von der Strait, sondern von der Ägäis. Überall auch Beschriftungen in Griechisch. Besonders apart: ein Beschwerdekasten mit Beschriftung in Griechisch, Englisch, Französisch und Deutsch. In der Schlange hinter mir eine laut telefonierende junge Frau mit einer abenteuerlichen Sprache: sie sprang im Satz hin und her zwischen tiefstem Andalusisch und Arabisch, so perfekt und normal, dass ich nicht erraten konnte, woher sie wohl stammte. Sie switchte etwa so wie die Yanitos das zwischen Englisch und Spanisch machen, aber ohne deren Akzent.“15
Drei Wochen später die zweite Überfahrt, ebenfalls über Tarifa. Gibraltar ist nicht in meinem Kopf, die Passage selbst jedoch ist in meinen Eingeweiden:
«Auf der Fähre der FRS-Linie. Selten habe ich auf so unbequemen Sitzen gesessen. Das Schiff wirkt moderner als der griechische Inselhopper der anderen Kompanie, der mich vor 3 Wochen nach Tanger gebracht hat. Noch liegen wir im Hafen (…). Jetzt sitze ich auf dem schwankenden Kahn im Hafen, draußen regnet es wieder stärker und schon jetzt schwankt es heftig. Ich werde wohl nicht mehr lange weiterschreiben können, die Übelkeit kündigt sich schon an. Am Nachbartisch stellt ein älterer Marokkaner seine Uhr um eine Stunde zurück. Jetzt also geht es in die andere Welt, und als ich aus dem Autobauch der Fähre hinauf auf das Passagierdeck gelangte, hatte ich dieses Gefühl: jetzt wird’s ernst. Oh weh! Horizonte verschwimmen. Ich bin ganz und gar nicht entspannt: hoffentlich geht die Überfahrt gut und die Einreise, hoffentlich gibt es in der Wohnung Internet, hoffentlich ist es nicht zu kalt (…). Hoffentlich finde ich was zu essen, hoffentlich traue ich mich mit dem Auto zu fahren, hoffentlich, hoffentlich, hoffentlich… Meine Güte, wie kann man nur so besorgt sein. Es wird schon alles gut gehen. Es tuckert aus dem Bauch des Schiffes und es ist 17:05 Uhr. Fahren wir langsam ab? Noch immer im Hafen und mir ist schon flau. Schöne Worte sind da nur schwer zu finden. Die Durchsagen sind nur schwer zu verstehen oder gar nicht. Bloß das Wort von der ‹pleasant journey› dringt zu mir durch. Das Schiff dreht sich im Hafenbecken und ich muss mich umsetzen. Sonst fahre ich noch rückwärts!!! Nun nochmal umgesetzt. Ich höre rings um mich Spanisch und Französisch. Die Marokkaner sind still. Noch immer im Hafen, wie lange dreht sich das verdammte Ding noch (17:15 Uhr). Jetzt 17:17 Uhr fahren wir aus dem Becken heraus in die unruhige Straße von Gibraltar. Es schwankt ganz schön. Mir wird schlecht.»16 Bemerkungen über die Meerenge, Gibraltar, Tanger und die Überfahrt fallen der Seekrankheit zum Opfer.
Der Blick vom Land auf die Meerenge verheißt Sicherheit. Die Gedanken wurzeln im Gesehenen, nicht im Magen.
Die Sinne
Es ist zuerst die Angesichtigkeit, die das Sehnen nach der anderen Seite stärkt. Das Makina und das Hafa in Tanger und die Cafeteria der University of Gibraltar sind nicht die einzigen Orte in der Region, an denen die andere Seite in Sichtweite ist, manchmal so klar, dass man einzelne Autos die Küstenstrasse entlang fahren sieht.
Eine visuelle Präsenz der einen Stadthälfte von TanGib in der jeweils anderen ist zumindest schon seit 1910 bekundet. Der Postkartenhersteller Benzaquén aus Gibraltar besass eine Filiale in Tanger und stellte sowohl Bilder der einen als auch der anderen her.17
Einen weiteren wichtigen Ansatz zur Rhythmusforschung liefert der Musikethnologe Steven Feld (1984), der die Welt und ihre Kulturen akustisch vermisst. Er hat «ein ganzes Forscherleben der Frage gewidmet, was Klang über unsere Welt verrät. Oder anders ausgedrückt: wie sich der Mensch und natürliche sowie technische Laute seiner Lebenswelt gegenseitig beeinflussen. (…) Er hört den Menschen [den Kaluli Neuguineas] zu und erkennt, dass sie die Geräusche des Regenwaldes nutzen, um sich in Zeit und Raum zu orientieren. So komponieren die Kaluli Lieder, indem sie bei und mit Wasserläufen singen. Das Plätschern gibt den Rhythmus und die musikalischen Intervalle vor. Die Texte der Lieder wiederum beschreiben Orte entlang der Bäche und Waldpfade: Wassermusik als Landkarte. Auch die Gesänge der Urwaldvögel dienen der räumlichen Orientierung – und fungieren als ökologische Uhr. ‹Die Geräusche von Vögeln geben bei vielen saisonalen und alltäglichen Aktivitäten den Takt vor.›» Fragen, die hier relevant werden, betreffen den Einfluss von Wind, Wetter, den Schreien der Möwen und anderer Tonlandschaften auf Kunst, Performanz, Habitus und Rhythmus der beiden Städte. Gibt es Gemeinsamkeiten? Gab es Gemeinsamkeiten in der Vergangenheit? Denn «[di]e Klanglandschaft eines Ortes kann (…) auch als Indikator für Umbrüche und Störungen dienen».18 In Tanger hört man heute – was die religiösen Ausdrucksformen betrifft – jedenfalls nicht mehr den Glockenschlag der Kirchen und auch nicht mehr die Gesänge in den Synagogen, sondern nur noch die Gebetsrufe der Muezzine. Ab und an hört man auch die Musik sufistischer Gruppen wie der Ḥamādša, die sich zunehmend auch mit rituellen Musikinstrumenten wieder im öffentlichen Raum bewegen können.
Man hört auch nicht mehr das «Tuten» der Schiffe in den beiden Häfen, das so vielen Filmaufnahmen unterliegt. Die Klanglandschaften Gibraltars und Tangers müssen aber forschend noch erkundet werden, das wird Teil meiner neuen Feldforschung (2019/20) in der Region sein. Klar ist jedenfalls jetzt schon, dass auf den Fähren zwischen Gibraltar/Tarifa und Tanger Klanglandschaften herrschen, sie sich weder der einen noch der anderen Seite zuordnen lassen, sondern einen eigenen Rhythmus besitzen: das Tuckern der Motoren, die Laute der Wind- und Meeresströmungen, die seltsam gedämpften Töne, die die Passagiere von sich geben. Kleine, kurze Gespräche, kein lautes Tösen wie in Tanger, kaum Lachen und nur angestrengte Stille vor dem Übertritt in die andere Welt.
Man kann Felds Erkenntnisse auf andere Sinne übertragen. Denn es handelt sich nicht nur um die Laute der Möwen und um die Angesichtigkeit, alle Sinne sind prägend in diesem Winkel der Welt. Man riecht dasselbe Meersalz in der Luft, schmeckt dieselben Gewürze auf der Zunge und spürt denselben Wind auf der Haut. Man ist demselben atmosphärischen Luftdruck ausgesetzt und spürt dieselbe feuchte Kälte in den Knochen.
Meine Freundin Annette Tunbridge, eine starke Frau aus Gibraltar, wie wir sie auch in Tanger finden können, verweist auf solch gemeinsame Gegebenheiten. Wenn der Wind aus einer Richtung kommt, wissen Gibraltarianer und Tanjawis genau, welche Tür sie schließen müssen, damit sie nicht zuknallt. Frauen wissen auch genau, wann sie beim Friseur nicht gestylt werden sollten, wenn das Wetter so ist, dass jede Frisur sofort zerstört wird. Das weiß man einfach. Bei starkem Wind wird die Verbindung mit den Fähren unterbrochen, die dann nicht fahren können. Und wenn es das Wetter erlaubt, können sie sich gegenseitig klar und deutlich sehen. Es ist auf beiden Seiten dasselbe, wir haben Ähnlichkeiten, die sich im praktischen Umgang zeigen.19
Zwei der sinnlichen Gemeinsamkeiten, die die Idee eines gemeinsamen Kulturkreises untermauern, sind der Musikgeschmack und die lokale Küche. So spielten gibraltarianische Musiker und Bands häufig für ein Tanjawipublikum. Der Sänger Pepe Caserni20 etwa trat auf dem Inter Police Ball auf. Gibraltarianische Künstler wie Pepe Palmero21 und Maleni King22 traten nicht nur in Tanger auf, sondern auch im spanischen La Línea. Die Entertainer John Charvetto und Felipe Rodriguez gastierten nicht nur in Gibraltar, sondern auch im Radio Algeciras, Radio La Línea und Radio Tangier.23 Der Gibraltarianer Bill Sanguinetti war Komödiant und Schauspieler und arbeitete für die Internationale Verwaltung Tangers.24
Das gibraltarianische Nationalgericht Calentita wird noch heute von Strassenhändlern in Tanger verkauft, ebenfalls in vielen anderen Städten des Mittelmeeres, etwa in Malta (wo man sie paloma nennt), in Westalgerien (dort sagt man karane) oder in Italien (wo sie farinata heisst).25
All diese sinnlichen Erfahrungen deuten darauf hin, dass es rhythmische Gemeinsamkeiten zwischen Gibraltar und Tanger gibt, die sich in den Körpern habitualisiert haben. Schauen wir nun auf Unterschiede in den Rhythmen.
Zunächst müssen wir feststellen, dass Tanger und Gibraltar heute unterschiedlichen Zeitregimes unterliegen, die den Tagesrhythmus strukturieren. In Gibraltar herrscht das europäisch lineare Zeitregime, in Marokko dagegen koexistieren verschiedene Zeitkonzepte nebeneinander.26 Der deutlichste Unterschied ist, dass die europäische Zeit eher an der Sichtbarkeit der Uhr ausgerichtet ist, die marokkanische Zeit dagegen vor allem durch den hörbaren fünfmaligen Gebetsruf, der den Tagesablauf und die Körperpraktiken, etwa das Innehalten, ordnet. Aber natürlich ist auch Tanger zum Teil ebenfalls dem Zeitregime der europäischen Uhr unterworfen. Und zwar schon früh. So wurde bereits am 6.1.1894 in der katholischen Kirche Purísima Concepción in der Calle Siaghin von Tanger die erste Uhr Marokkos angebracht.27
1938 suchten die Verantwortlichen der Moschee einen vertrauenswürdigen muslimischen Uhrmacher, der die verschiedenen Uhren in der Moschee koordinieren könnte. Aber es fand sich keiner. Gegenüber der Moschee befand sich das Uhrengeschäft von Anselmo Ravello, der bereits seit 40 Jahren in Tanger ansässig war. Da die Uhren zu gross waren, um sie in sein Geschäft zu bringen und er als Christ den Boden der Moschee nicht betreten durfte, trugen ihn vier starke Muslime auf einem Stuhl in die Moschee. Von diesem Stuhl aus reparierte er die Uhren. Weil das auf Dauer zu unpraktisch war, verlieh man ihm später das Recht, barfuss die Moschee betreten zu dürfen.28 So wurde Anselmo Ravello zum einzigen Christen, dem es erlaubt war, die Große Moschee zu betreten.
Trotz der Orientierung an der linearen Uhrzeit ist die Praxis im Umgang mit der Zeit in beiden Städten untergründig nervös. In Tanger fiebern viele um die Frage, wann, wo und auf welche Weise man die Grenze nach Europa überwinden könne. Es ist eine subkutane Nervosität, die in vielen schlummert – und manchmal wummert. Auch in Gibraltar ist eine unterschwellige Nervosität wahrzunehmen, die mit der Grenze zusammenhängt. Bloss: in Gibraltar ist der Grenzübertritt nach Spanien eine alteingeübte Problematik, und innerhalb Gibraltars kann man gedeihlich leben. In Tanger allerdings ist die andere Seite nicht bloss ein Ort der pragmatisch-problematischen Alltagsplanung (Einkauf, Strandbesuch, abendliches Ausgehen, Besuch von Freunden) wie in Gibraltar, sondern ein Land der Hoffnung. Wenn ich von Tanger auf die andere Seite hinüber fliege, nach Europa, sagt mein Freund Christian, habe ich das Gefühl, dass ich mich jetzt wieder wie Alice hinter die andere Seite des Spiegels begebe. Ich bin privilegiert, denn während die Tanjawis sich «früher» ebenfalls frei nach Spanien bewegen konnten, ist ihnen das heute als marokkanischen Staatsangehörigen nur unter erschwerten Bedingungen möglich.
Spanien ist für die Gibraltarianer keine Hoffnung, sondern eine Bedrohung: Man muss mit der anderen Seite umgehen. So ist es beispielsweise nicht abschätzbar, wann die Landesgrenze nach Spanien geöffnet sein würde bzw., wie lange man brauchen würde, um diese zu überqueren. Die Gibraltarianer können zwar seit 1982 wieder direkt nach Spanien reisen, aber auch hier sind die Bedingungen unabwägbar, weil es nicht vorhersehbar ist, ob die Spanier nicht gerade dann «Dienst nach Vorschrift» machen, so dass es Stunden zu dauern vermag, bis man die Grenze überquerren kann. «Psychisch belastend ist besonders die Tatsache, dass die Maßnahmen nicht immer in Kraft sind und es vom Einzelnen nicht abgeschätzt werden kann, wann sie eingesetzt werden.» In den Wochen vor der Feria de La Línea (Herbstfest von La Línea) habe man kaum mit Grenzschikanen zu rechnen.
Das sei jedes Jahr so, erklärt mir Mary-Clare Russo [*1955], ldamit wir dann doch wieder rübergehen und dort unser Geld ausgeben. Und jedes Jahr werden dann nach Ende der Feria die Maßnahmen wieder eingesetzt.»29
So teilen die beiden Städte die Erfahrung des sich nicht frei bewegen Könnens, jedoch zu unterschiedlichen Zeiten.
Auch der Raum selbst organisiert den Tagesrhythmus. Gibraltar ist eine kleine, kaum wachsende Gemeinschaft, die sich zur Zeit meiner Feldforschung in den 1990er Jahren maßgeblich entlang einer einzigen Arterie – der Main Street bis hinunter nach Europa Point – erstreckte. «Hier begegnen die Gibraltarianer einander oft mehrmals am Tage. Für eine spezifische Strategie wurde sogar ein einheimischer Begriff geprägt: ‹the Hi-Bye-Syndrom.› Auf der Main Street wird Meidung hergestellt, indem man schnellen Fußes die Straße vermisst und zielstrebig das Ziel ansteuert, ohne sich mit den Bekannten bis auf den rituellen Meidungsgruß auszutauschen. Grüßt man einen Bekannten mit ‹Hi›, so wird einem von diesem ein ‹Bye› entgegnet. Manchmal grüßt man auch mit einem ‹Bye›.»30
Daneben gab es ein paar Seitenstrassen wie Irish Town oder Line Wall Road, aber alle von Nord nach Süd sich erstreckend. Wollte man dem engen Raum entkommen, musste man sich nach Spanien begeben. Heute sind durch den Landgewinn im ehemaligen Hafengebiet neue Viertel dazugekommen. Tanger dagegen ist eine ständig nach Süden und Osten expandierende Stadt, es gibt keine dominierende Verkehrsarterie, sondern ein hohes Verkehrsaufkommen. Grössere Distanzen als in Gibraltar müssen überwunden werden, nicht nur in der Stadt selbst, sondern in andere Landesteile, die etwa bessere Hochschulen, Spezialkliniken und Ministerien beherbergen.
Soziale Faktoren
Die Sozialstruktur ist ein weiterer Faktor, der den Rhythmus der Menschen beeinflusst. Gibraltar war eine Militärkolonie, ein militärischer oder militaroider, zumindest ein britischer Habitus war für die ZivilistInnen notwendig, um sozial aufzusteigen.31 Heute ist Gibraltar eine Dienstleistungsgesellschaft mit einer hohen Dichte an Banken, Anwaltsfirmen und den Büros der Gaming Industrie. Kleidung und Habitus sind britischer, nicht nur durch diese Gewerke, sondern auch, weil seit den 1970er Jahren die meisten Jugendlichen nicht mehr vor Ort, sondern in Großbritannien ausgebildet wurden. In Tanger wiederum wurde nach der Unabhängigkeit Marokkos ein Großteil der Bevölkerung ausgetauscht, ChristInnen, Juden und Jüdinnen und auch viele altansässige MuslimInnen verliessen die Stadt, die einen grossen Zuzug aus den ländlich geprägten Hinterländern zu verzeichnen hat. Vielfach habe ich die Klage der Alteingesessenen über «diese Bauern» gehört, die nicht wüssten, wie man in einer Stadt lebe; vielfach auch die Klagen der Zugezogenen über «diese arroganten Faulenzer», die den ganzen Tag nichts arbeiteten und die Leute übers Ohr hauten. In diesen Klagen verbirgt sich eine zentrale Bezüglichkeit zum Rhythmus: eine urban-mediterrane Lebenskunst wird einer ländlich-binnenländischen Grobheit gegenüber gestellt.
Mein Gewährsmann Mustafa meint: «Wir Tanjawis sind so: Wir arbeiten, um etwas zu haben, und dann wieder nicht, weil wir gerne schlafen und den Tag genießen. Diese Leute aus dem Süden haben alles verändert. Die kommen hierher, um Geld zu verdienen und sie arbeiten viel, aber billig. Sie verderben die Löhne und die Mentalität.»32 «Bei uns muss alles langsam gehen, Stück für Stück. Tanjawis arbeiten nicht gerne. Wenn wir einmal Geld haben, dann verprassen wir es im Café. Die Leute aus dem Süden dagegen wollten nur Geld, Geld, Geld, keine Lebensqualität. Die Tanjawis sagen: Arbeiten, das machen keine Männer, das machen nur die Esel. Die Esel vom Land, die hierher kommen.»33
Khaled aus Essaouira und Abdelladim aus Casablanca äußern: «Die Tanjawis sind faul und schlafen bis in die Puppen, während wir aus dem Süden (= Arobia) hart arbeiten.»34 Schon anderntags meinte Zak aus Casablanca: «Tanjawis sind Rassisten. Die mögen uns aus dem Süden nicht, weil wir hierherkommen zum Arbeiten, und die Tanjawis sind alle faul oder Gauner.»35
Typisch für den Rhythmus der Stadt, der von Aussenstehenden, von EuropäerInnen zumal, wahrgenommen wird, ist das sich-stundenlang-ohne-offensichtlichen-Grund-im-Café-Aufhalten der männlichen Tanjawis: Man sitzt und kommentiert, trinkt Tee oder Kaffee und schaut, beobachtet. Oder stiert und glotzt. In Tanger erleben dies die Fremden vor allem in der Medina und am Boulevard Pasteur, mithin also in bestimmten Gegenden, die sie nur selten verlassen. Ich wusste zu Beginn meiner Forschung nicht, dass es zum Selbstverständnis der Tanjawis gehörte, Geschwindigkeit aus den Prozessen herauszunehmen, zu warten und zu kommentieren und zu schauen.
«Was machen all diese Männer in den Straßencafés als Erstes,» fragt mich Mohammed? «Sie schauen. Und kommentieren.» Es gebe eine ganze Wissenschaft des Blickes, zitiert er einen französischen Freund, der dies einmal Shufologie (shuf = schau) genannt hat: die Kultur der Augen und des Blickes; ich denke aber auch, dass man so einen Gutteil meiner bisherigen Forschung bezeichnen könnte: Shufologie – die Kunst des Schauens. Tatsächlich schauten einem die Menschen immer in die Augen, sie guckten genau hin, so als wollten sie das Innere erkennen. Viele Leute schauen genau hin, wer was eingekauft und in seinen Plastiktüten mit nachhause gebracht hat.36
«Im Café Univers sage ich [einem Informanten], dass er und sein Bruder das Shufologie-Diplom problemlos erhalten würden, weil sie ausgewiesene Gaffer seien und jedem Frauenhintern hinterherschauen. Sie lachen.»37 In Gibraltar sitzen die Menschen ebenfalls in Cafés, und dem Besucher aus dem Norden mag das als eine typisch mediterrane Lebensform erscheinen: bis tief in die Nacht hinein in Kneipen, Bars und Cafés. Aber diese Beobachtung machte ich erstmals 2017, in meinen Feldforschungsaufzeichnungen aus den 1990er Jahren finde ich dagegen immer wieder meine Klagen darüber, dass um 18 Uhr das öffentliche Leben in der Stadt erstirbt, die Strassenbeleuchtung fast vollkommen erlischt, kaum ein Fussgänger zu sehen ist und Lokale – sofern sie überhaupt geöffnet waren – das Flair der butzenscheibigen Düsternis englischer Militärpubs atmen. Restaurants und Cafés in den Strassen und Gassen gab es nicht, das Leben fand inhäusig statt. Mir wurde das immer mit dem Verweis auf die militärische Tradition erklärt: Über 200 Jahre war es nicht üblich für Zivilisten gewesen, sich nach der Dunkelheit draussen aufzuhalten.38 Das hat sich mittlerweile geändert.
Und noch etwas unterscheidet die Rhythmen von Tanger und Gibraltar: Gender. Zwar ist Tanger alles andere als eine arabische Stadt, in der Frauen auf den Bereich des Häuslichen beschränkt wären – die Frauen von Tanger sind in der Öffentlichkeit wohl präsent und sie gelten seit alters her als stark und selbstbewusst. Männer und Frauen sind co-präsent. Aber sie sind nicht co-kommunikativ, so wie dies in Gibraltar der Fall ist. Sie sitzen – ausser im familiären Umfeld – nicht in gemischtgeschlechtlichen Gruppen an den Tischen der Cafés und führen auch nicht lautstark das Wort, so wie das in Gibraltar üblich ist. Auch Männer sind in den Cafés weniger hörbar als ihre Geschlechtsgenossen in Gibraltar.
Städtebau und Architektur
Eine weitere sinnliche Gemeinsamkeit, die im Städtebau von Tanger und Gibraltar begründet ist, ist das Auf- und Absteigen von den Hügeln zum Meer. Es gibt eine Ober- und eine Unterstadt in Gibraltar und in der Medina von Tanger.39 Steile Gassen, enge Passagen, Treppen und Stiegen verbinden oben und unten, man darf annehmen, dass sich dies auf den Umgang mit engem Raum, die Körperhaltung beim Tragen von Taschen und Behältern, die Blickrichtung beim Gehen und auf die Muskulatur des Bewegungsapparates in ähnlicher Weise auswirkt. Hierzu gibt es aber noch keine belastbaren Befunde. Meiner Annahme, dass die Diagnose «Hexenschuss» in Gibraltar genauso üblich wäre wie in Tanger, wurde jedenfalls von einer Apothekerin widersprochen, die meinte, bei kalten Winden gebe es in Gibraltar auch nicht mehr Hexenschüsse oder Rückenzerrungen als bei warmen oder bei Windstille. Gerade dies aber vermeine ich in Tanger zu beobachten.
Die mediterranen Städte meiner Forschungen – neben Tanger und Gibraltar auch Sevilla – teilen eine urbanistische Besonderheit, die sogenannten Patios de Vecinos. Bei den Patios handelt es sich um Wohngebäude, die um einen Innenhof herum angeordnet sind. Es sind meist zweistöckige Gebäude, in denen ärmere Teile der Gesellschaft lebten, die sich den Innenhof und eine Wasserpumpe, die die Nachbarschaft versorgt, teilten. Solche Patios sind natürlich nicht nur urbanistische Formationen, sondern auch besondere Formen des Zusammenlebens.40
In Gibraltar lebten viele Zivilisten in solchen Patios, denn das Land, das nicht dem Militär gehörte, war knapp und die Wohnbedingungen begrenzt. Ziel vieler Gibraltarianer war es, der Enge der Patios und der Kontrolle durch die Nachbarn so schnell wie möglich zu entkommen. Mit dem Exodus der Einheimischen aus den Patios in die neuen Wohnblöcke, die auf Land gebaut wurden, das dem Meer abgetrotzt worden war, verblieben die Patios als Wohnmöglichkeiten für die marokkanischen Arbeiter. Gleichzeitig wurden sie nostalgisierend zu Geburtsorten einer gibraltarianischen nationalen Identität erhoben, in denen Spanier und Briten, Malteser und Juden, Sindhis und Portugiesen in Eintracht zusammen lebten.41 Mittlerweile sind viele der ehemaligen Patios gentrifiziert.
In Tanger wiederum finden wir Patios vor allem in den ehemaligen ärmeren spanischen und jüdischen Nachbarschaften, in Brâmil, Jossafat, Hasnona und den angrenzenden Gebieten. Auch hier waren die Patios jene Örtlichkeiten, in denen sich Menschen jeglicher Religion und Nationalität – die allerdings derselben ärmeren oder unteren Mittelklasse angehörten – friedvoll zusammenlebten. In Tanger leben dort heute nicht immer ärmere MuslimInnen.
Die Verbreitung von Patios als einer Wohnform auf beiden Seiten der Meerenge lässt sich also erklären, bedenkenswert ist aber die Verdopplung der Namen von Strassen und Hotels. In Gibraltar gibt es eine Lovers Lane, in Tanger eine Calle de los Enamorados. Beide Städte verfügen über ein Hôtel Bristol. In Gibraltar spricht man von The Mount, in Tanger ebenso (oder vom Jebel Kebir bzw. La Vieille Montagne). In beiden Städten gibt es einen Royal Yacht Club und ähnliche Jagdgesellschaften (die Schweinejagd im Forêt Diplomatique bei Tanger und die Royal Calpe Hunt im Hinterland von Gibraltar).42 Ein Altstadtviertel in Tangers Medina nennt sich Bni Ider, in Gibraltar lebte eine jüdische Familie Benider.43 In Tanger gab es nicht nur die Wahl einer Miss Tanger,44 sondern genauso wie in Gibraltar einen Rosenkranz weiblicher Schönheitswettbewerbe.45 In Tanger gibt es ein Café Gibraltar sowie ein britisches York Castle und in Gibraltar einen Tangier’s Take Away und ein Moorish Castle.
Sowohl in Gibraltar als auch in Tanger ist die Architektur ein wichtiger Marker im Identitätsdiskurs. Und dieser verändert sich in beiden Städten. In Gibraltar wurde seit mehreren Jahren vermehrt Land dem Meer abgetrotzt und mit Hochhäusern bebaut, die auf ältere EinwohnerInnen verstörend wirken.
«Auf meinem Weg zum Yacht-Club, der nicht mehr dort ist, wo er früher einmal gewesen war, weil man ihn verlegt hat, treffe ich auf Lina (*1934). Ich sage zu ihr, dass die Gegend ganz anders aussehe als in den 1990ern. Vom Berg aus sieht man das Meer nicht mehr vor lauter Hochhäusern, meint Lina. Später ergänzt Linas Schwester Lotti, dass man auch von unten den Berg nicht mehr sehe vor lauter Hochhäusern.»46
Berg und Meer sind die dominierenden Bezugsgrössen in der gibraltarianischen Landschaftsprägung und diese werden durch die neue Architektur entmachtet.
In Tanger führte der Zuzug aus Arobia, vor allem aus dessen ländlichen Gebieten, in der Wahrnehmung der Tanjawis zu einer Ruralisierung der kosmopolitischen Stadt. Diese schlägt sich auch im Umgang mit dem baulichen Erbe der Stadt nieder. «Diese Menschen», so der Heimatforscher Rashid Tafersiti Zarouila, «zogen in die alten Viertel der Medina ein, aber zuvor hatten sie in Hütten und Barracken auf dem Land gewohnt. Sie haben keinerlei Beziehung zur Stadt».47 Damit erklärt Tafersiti Zarouila, der sich als Nostalgiker bezeichnet und den aktuellen Buchmarkt der Publikationen mit nostalgischen Bänden über das alte Tanger dominiert, die Tatsache, dass die Altbauten in vielen Teilen langsam verfallen.48 Weite Teile der Altstadt etwa werden von einer europäischen und mehr noch einer mediterranen Architektur beherrscht, die in anderen Städten des Landes ungewöhnlich erscheinen mag: Balkone und Fenster mit Gittern oder Fensterläden zur Straße, Stuck und klassizistischen Versatzstücken. All das ist nicht nur durch die Spekulantenmafia, sondern auch durch die achtlose Nutzung der zugezogenen Hinterwäldler bedroht. Viele der emblematischen mediterranen Bauten sind in den letzten Jahren verschwunden und meist durch neue Wohnblöcke ersetzt worden.
Die Menschen
Das Vorherrschen sinnlicher Parameter, die eine strukturelle Gemeinsamkeit feststellen lässt, bedeutet für die Menschen, die wir untersuchen, gar nichts, wenn sie diesen Gemeinsamkeiten keine Bedeutung zusprechen. Wenn ich also bislang versucht habe, rhythmischen Gemeisamkeiten nachzuspüren und einige sogar freizulegen, dann sagt das nichts darüber aus, ob die Tanjawis, die Gibraltarianer und gegebenenfalls auch die Südspanier diese Gemeinsamkeiten ebenfalls erkennen und ob diese eine Relevanz besitzen. Bedeutsam wird hier das Konzept der wechselseitigen Identifikation. Im vorliegenden Falle ist es keine ethnische Identifikation, die sich auf gemeinsame Abstammungen beriefe, sondern eine geo-kulturelle. Deren Bezugsgrössen sind natürliche Gegebenheiten und regionale Nähe (Geographie) mit Nachbarschaft, Teilhabe, Kommunikation (Kultur). Boughazidad ist ein geeigneter Begriff für diese geokulturelle Gemeinschaft, in deren Rahmen die Rhythmen eine große Bedeutung für viele meiner Gewährspersonen in der Region gewinnen.
Eine kurze Bemerkung zu Ethnizität ist hier angebracht, da die Vorstellung von gemeinsamer Abstammung sich auf genetische49 und historische Befunde50 stützen könnte. Für EthnologInnen sind die genetischen Befunde per se nicht besonders relevant. Während meiner Feldforschung in Spanien 1985/86 spielte Gibraltar keine Rolle, auch nicht Tanger, wohl aber Marokko und die muslimische sowie die jüdische Vergangenheit von Al-Andalus. Zudem führte die Regionalisierung Spaniens nach 1975 politisch dazu, regionales (und lokales) Erbe zu bergen, zu entdecken und zur Legitimationsbasis für politische Forderungen zu machen. In Andalusien musste es sich zwangsläufig auch um jüdische und muslimische Vergangenheiten handeln.51 In Gibraltar spielte der genetische Bezug nur insofern eine Rolle, als dass es dort darum ging, auf allen Ebenen zu beweisen, dass GibraltarianerInnen eben keine SpanierInnen seien. Dies war wichtig, weil sich der spanische Anspruch auf das Territorium der Kolonie unter anderem auf die genetische Argumentation stützte, dass die GibraltarianerInnen keine «echte» Bevölkerung52 seien.53
Auch demographisch und historisch wird es seit dem Ende des 19ten Jahrhunderts aus ethnologischer Sicht zunehmend schwieriger, eine Unterscheidung darüber zu treffen, wer Gibraltarianer oder Tangerino war. Gewiss, es gibt in den Archiven Geburtenregister, aber was sagen uns diese Zahlen? Es gibt keine Zahlen darüber, ob jemand ein Gibraltarianer in Tanger war, der sich später wieder in Gibraltar niederließ, dessen Kinder aber in Tanger verblieben. Oder ob es sich um einen britischen Offizier handelte, der sowohl in Gibraltar als auch in Tanger seine Dienste ableistete, mit einer Katholikin aus Gibraltar verheiratet war und sich im Alter in einer Villa auf The Mount in Tanger zur Ruhe setzte. Oder ob es sich um einen in Gibraltar registrierten Untertanen seiner Majestät handelte, der allerdings seinen Schmuggelgeschäften in beiden Städten nachging. Manuel Jurado, ein Informant, erzählt:
«Viele Gibraltarianer zogen [Anfang der 40er Jahre] nach Tanger aus Angst vor einer deutschen Invasion. Meine Taufpaten waren beide aus Gibraltar. [..] 1960 habe ich mich dann nach Gibraltar abgesetzt, weil ich dort meine jetzige Frau kennengelernt hatte. Meine Eltern lebten noch bis 1964 in Tanger. Heute leben sie in Spanien.»54
Die Vermischung zeigt sich insbesondere in den Namen der Jüdinnen von Tanger: diese waren stark von Gibraltar beeinflusst. Eine sephardische Gimol hiess nun Molly, eine Raquel wurde zu Kelly, Rebecca zu Rica, Myriam zu Mery, Simhat zu Simy.55
Die Frage danach, ob jemand Gibraltarianer oder Tangerino ist, basiert auf der falschen Annahme, der wir heutzutage vielfach aufsitzen: dass es eine kulturelle Identität geben müsse, die ethnisch wäre. Das Hin- und Her zwischen Gibraltarianer und Tangerinos zeigt uns, dass die entscheidende Kategorie die der Kultur ist – jedoch nicht lediglich die eines kulturellen Bekenntnisses, sondern auch die der einer kulturellen Praxis. Diesen Ansatz verfolgt auch Löfgren (1999), der nachweist, dass die Idee der nationalen Identität historisch durch verschiedene Differenzierungspraktiken, die praktisch an Grenzen durch Grenzkontrollen durchgeführt wurden, entstanden ist.
Die Unmöglichkeit der ethnischen Trennung beider Städte voneinander erweist sich beispielhaft in Familiengeschichten wie den beiden Folgenden:
Der Gibraltarianer Roque de Soto Lyons «[e]ra de ascendencia escocesa. A mediados del siglo XIX su padre se desposo en Gibraltar con la joven viuda Rita de Soto, que era una noble española de San Roque. Tuvieron cuatro hijos. entre los que figuraba Rock Lyon o Roque Lyons, que asi se Ie llamaba en Tanger. AIIí caso con una hija de Antonio Molinari, britanico de ascendencia genovesa (…). EI matrimonio (…) tuvo tres hijas, Lydia, Celia y Angeles, todas ellas britanicas. La primera, Lydia, que utilizaba el apellido de su abuela, Soto-Lyons, casado con Emilio Sanz Barriopedro, una de las flguras señeras de Tanger. Por su parte, Celia contrajo marimonio con John Joseph Artesani, que también tenia ascendencia genovesa y que habia llegado a Tanger desde Gibraltar, en 1927. Angeles caso con el italiano Guglielmo Garassino (…).»56
Der austroungarische Vizekonsul Dr. Schmidl war ursprünglich 1861 von Baron James de Rothschild nach Tetuán geschickt worden. Er gründete 1862 die Schule der Alliance Israélite Universelle. Bis zu seinem Tod 1910 lebte er in Tanger und arbeitete dort als Arzt, der viele Frauen gratis operierte. Schmidl war mit einer Hachuel aus Gibraltar verheiratet.57 Die Familie Brentan stammt von diesem Paar ab, sie besassen die Compagnie Nord-Africaine Intercontinental d’Assurances am Boulevard Pasteur.58
Die Beziehungen von Familien beider Städte (und Südspaniens) zueinander werden zur Grundlage nicht nur lokaler Romane wie dem von Leopoldo Ceballos (2015), sondern auch von Werken der Weltliteratur.59
Wenn meine Informanten, die allesamt nicht aus den akademisch gebildeten Schichten stammten, von den jeweils Anderen sprachen und die Nähe zwischen Spaniern, Gibraltarianern und Marokkanern betonten, so argumentierten sie immer mit der geographischen Nähe, der kulturellen Prägung (Habitus, Sprache) und kulturellen Versatzstücken (Musik, Fussball, Essen) – Abstammung, Herkunft oder gar Genetik spielten aber selten oder gar keine Rolle.
In der Ethnologie gibt es eine Tradition, die etwa von Adolf Bastian oder, in der Soziologie, von Georg Simmel60 vertreten wurde, und zu der heute häufig ein blosses Lippenbekenntnis abgelegt wird, die in der tatsächlichen Textproduktion jedoch weitgehend verschüttet oder bestenfalls implizit verborgen ist – nämlich dass durch den Blick auf das Fremde auch ein neuer Blick auf das Eigene gewonnen werden kann, oder besser: dass die Erkenntnis des Fremden untrennbar mit der Erkenntnis des Eigenen verbunden ist. Und es ist der Blick des Erkanntwerdens durch den Anderen, der gebannt wird durch vielerlei Symbole, Gesten, Rituale, von Amuletten gegen den Bösen Blick über die Schreckfiguren bis zu den Integrationsritualen, die Kramer (1987) so hervorragend herausgearbeitet hat. Man hat Simmel häufig so verstanden, dass der Blick den Fremden und das Eigene konstruiert – was aber, wenn der Blick eine Ähnlichkeit zwischen Fremdem und Eigenem herstellt und damit die Grenze dazwischen aufweicht?
Wir finden die Verinnerlichung des Anderen nicht nur in den Wissenschaften,61 sondern auch im Alltag. Für die traditionsreichen Tanjawis – zumindest für die ältere Generation – sind die Andalusier und die verschwundenen Juden die verinnerlichten Anderen. Sie «kennen» die Andalusier und Juden Nordafrikas, gingen mit ihnen zur Schule, lebten lange mit ihnen und teilten die Straßen, die Arbeitswelten und die Freizeit, spielten zusammen Fußball und besuchten Kinos. Und in Gibraltar kennt man die Spanier und die Marokkaner gut. Gerade die Spanier werden in Gibraltar verinnerlicht, der Kampf gegen sie ist auch deshalb so aggressiv und dominant, weil es zum Teil ein Kampf gegen den Gegner in sich selbst ist. Man kann hier auf verschiedene Ansätze zurückgreifen, etwa das Konzept der Transkulturalisierung,62 der Trance- und Besessenheitskulte im marokkanischen Volksislam63 und das der gegenseitigen Durchdringung. Das Prinzip der gegenseitigen Durchdringung, oder, wie der italienische Philosoph Emanuele Coccia (2018: 23) in seiner Philosophie der Pflanzen sagt: «Das Umfassende im Umfassten und umgekehrt». Übertragen auf meinen Ansatz bedeutet dies: In den Sozialwissenschaften des Maghreb weht – und zwar sowohl intellektuell als auch institutionell – der Atem Frankreichs, in den Sozialwissenschaften Europas weht aber auch der des Maghreb.
Neben dieser Verinnerlichung des Anderen finden wir – vor allem historisch – eine Identifikation mit einer gemeinsamen Kultur der Region.64 Im Rhythmus fliessen Geographie und Kultur zusammen. Boughazidad ist ein geeigneter Begriff für diese geokulturelle Gemeinschaft an der Meerenge, denn die Rhythmen binden die Menschen zusammen – nicht die Abstammung. Gemeinsame Rhythmen machen die Menschen einander als «gemeinsam» erkennbar. Über die ethnischen Grenzen hinweg.
Lange war die Region stark durch Boughazidad geprägt, politische und demographische Entwicklungen haben jedoch dazu geführt, dass dies heute in vielen Bereichen nicht mehr so ist. Und dies trotz der Meeresströmungen, der Winde, der Schreie der Möwen und des Salzes auf der Haut. Architektonische und städtebauliche Veränderung, die Orientierung Gibraltars nach Europa und Grossbritannien und die Tangers nach Rabat und Casablanca, die Abwanderung der Tanjwais und die Zuwanderung aus dem Süden in die Stadt, die Grenzschliessung zwischen Spanien und Gibraltar – all das hat eine Veränderung der Rhythmen geschaffen und zum Teil die Erfahrung der Gemeinsamkeit mit jenen auf der anderen Seite überdeckt.
Die Frage danach, ob sich mediterrane Städte durch einen gemeinsamen oder zumindest ähnlichen Rhythmus auszeichnen, kann man also dadurch beantworten, dass man danach fragt, ob dies von Akteur_innen auch erkannt und mit Bedeutung aufgeladen wird. Soviel lässt sich sagen: Rhythmische Ressourcen sind noch immer vorhanden, sie können in Zeiten aktiviert werden, in denen es wichtig wird, die Gemeinsamkeiten zu betonen. Ich vermute, dass in Gibraltar im Kontext des Brexit wieder verstärkt auf sie zurückgegriffen werden wird: wenn Europa und Spanien unzugänglicher werden und Grossbritannien weit weg ist, dann ist für den Alltag noch immer Marokko da. Inwieweit sich Marokko im allgemeinen oder Tanger im speziellen der boughazidad als Ressource bedienen wird, darüber lässt sich etwas vager spekulieren. Gegenwärtig sieht es eher so aus, als suche die Stadt ihr Heil in Investitionszuflüssen aus den Golfstaaten und aus China. Aber sollten die EU und Marokko wieder engere Bande miteinander flechten, dann würden die Rhythmen wieder «entdeckt» und in den politischen und künstlerischen Diskurs eingespeist.
1 Lefebvre & Régulier 2004: 8-9
3 Siehe Keesing 1981; Ortner 1984
4 «El andaluz tiene un sentido vegetal de la existencia y vive con preferencia en su piel» (Zambrano & Ortega y Gasset, 1984: 243).
5 Lefebvre & Régulier 2004: 97f.
6 Lefebvre & Régulier 2004: 87
7 Wir hatten am 15. und 16. Februar 2015 eine Konferenz zur Thematik («Patrimoine, tourisme et changements politiques dans la région MENA») im Hôtel El Minzah organisiert: Auch dort ging es um Vorstellungen ‹von oben› und weniger um einen gelebten Umgang mit dem, was als Erbe bezeichnet wird. https://www.ruhr-uni-bochum.de/archaelogie/mam/content/programm_-_tagung_-_marokko.pdf
8 Weidner 2018: 33. – Die Bedeutung des Wiedehopf ist in den populären Überzeugungen, in der traditionellen Medizin und in der Magie sehr breit. In der Kräuterapotheke meines Freundes Said wurde mir eine ganze Schublade geöffnet: Said erklärte mir, dass Sie keine Teile des Wiedehopfs als Medizin verwenden, sondern als magische Substanzen: Die Bälge selbst sind fast nichts wert, sie werden in gewisser Weise als Dreingabe für die wirklich wichtige Komponente, das Auge, mitgegeben. Das Auge kostet 80 Dirham (ca. 8 Euro) und wird oft von Frauen gekauft, die es in ein Lederamulett stecken und auf ihrem Herzen tragen: Sie ziehen die Aufmerksamkeit der Geliebten auf sich. Getrocknete Chamäleons und Skorpione werden für denselben Zweck verkauft. Der Balg wird einfach verbrannt, damit der Liebeszauber besser funktioniert. Aber in Wirklichkeit wirkt nur das Auge. Der Wiedehopf «gilt als besonderer, mit magischen Kräften begabter Vogel. Seine außergewöhnlichen Eigenschaften kann man sich zunutze machen, da sie nicht nur dem lebenden, sondern auch am toten Tier unverändert anhaften.» Ventzlaff 2018: 75
9 Feldforschungstagebuch, 02.04.2019
15 Feldforschungstagebuch, 14.02.2013
19 Feldforschungstagebuch TanGib, 01.04.2019
20 Insight Magazine, Oktober 2001
21 Insight Magazine, November 2003
22 Insight Magazine, December 2001
23 The Gibraltar Chronicle, 10.05.1957
25 https://www.wikiwand.com/en/Gibraltarian_cuisine (Zugriff: 1.7.2020)
26 Abu-Shams/Gonzales Vasquez 2014, S. 36
27 Historia de la comisión de higiene. C. Marco 1913. Pag 18
28 Martínez Antonio 2010-2011, S. 290
32 Feldforschungstagebuch Tanger, 10.12.2013.
34 Ebd., 07.08.2013; 10.12.2013
36 Feldforschungstagebuch Tanger, 20.7.2013
39 «[A]round the Mediterranean and irrespective of the country, many towns have been constructed on escarpments that dominate the sea. In these towns, a distinction is drawn between the lower town and the upper town: steps play a very important role. Generally, there is right around the Mediterranean a remarkable architecture of the stairway. A link between spaces, the stairway also ensures a link between times: between the time of architecture (the house, the enclosure) and urban time (the street, the open space, the square and the monuments).» Lefebvre & Régulier 2004, S. 97
40 Press (1969) hat einen dieser Patios de Vecinos in seiner Monographie meisterlich dokumentiert.
42 Sir John Drummond Hay begründete das pig-sticking im Forêt Diplomatique. Mitunter wurden einfache Soldaten aus Gibraltar dazu nach Tanger verfrachtet, um die Teilnehmerzahl an der Jagd imposanter erscheinen zu lassen. (Finlayson 1992, S. 44).
43 Benady 1989, S. 151. Diese Familie stammte aus Tetuan (Chipulina 2017).
46 Feldforschungstagebuch TanGib, 31.3.2019
47 Feldforschungstagebuch Tanger, 19.4.2013.
49 Genetische Untersuchungen aus dem Jahr 2000 zeigen, dass Marokkaner und Spanier sehr eng miteinander verwandt sind. Aus genetischer Sicht sind sowohl die Arabisch sprechenden als auch die Berberisch sprechenden Marokkaner Berber. Der genetische Einfluss von Arabern (also aus der Arabischen Halbinsel oder dem Nahen Osten) ist sowohl in Marokko als auch in Spanien minimal. (Bosch et al 2000) Eine 2008 veröffentlichte Studie zeigt, dass «10,6 Prozent der untersuchten Y-Chromosom-Genabschnitte» männlicher Spanier und Portugiesen «aus Nordafrika, und ganze 19,8 Prozent (…) weitestgehend dem Typus heute lebender Sephardim» entsprechen. Adams et. al 2008, cit. In: N.N. 2008. Die heute höhere Verbreitung nordafrikanischer Gene im Nordwesten der iberischen Halbinsel ist vermutlich auf die konsequentere Vertreibung der Mauren und Morisken aus dem Süden zurückzuführen
50 Eroberung der iberischen Halbinsel durch die Muslime, Kolonisierung Marokkos durch Franzosen und Spanier.
51 Popularisiert wurden diese Funde über Feste, Rituale und Publikationsreihen wie etwa die der Biblioteca de la Cultura Andaluza. Viele junge Spanier suchten nach ihren familiären Wurzeln jenseits der zuende gegangenen nationalfrankistischen Erzählung: muslimische Zentren gründeten sich in Sevilla, in Granada konvertierten junge Spanier zum Islam und viele meiner Informanten beanspruchten – echte oder fiktive – muslimische oder jüdische Ahnen für sich. Vgl. Duran 1992, Bahrami 1998
52 Spanish Government: The Spanish Red Book. Madrid 1965; Barcía Trelles 1968; Cordero Torres 1966.
58 Fanny JP, FB/ST, 22.10.2013
59 So schuf der spanische Autor Vincente Blasco-Ibañez mit Luna Benamor (del Castillo Navarro 2003) die Vorlage für Lunita Laredo. Diese wiederum war einer Dame aus der Familie Cohen aus Tanger nachgebildet (N.N. (o.a.). Lunita Laredo wurde Vorlage für die Mutter der Heldin Molly Bloom (Corrales Castilla 2003) aus James Joyces’ Ulysses. Luna, eine junge Jüdin aus Gibraltar, war Isaac Nuñez, einem Juden aus Tanger, zur Frau versprochen worden. Und auch die Titelheldin in Ángel Vasquez’ Roman Juani Narboni (1976) ist Tochter eines Gibraltarianers.
61 Rachik (2012) und Burke (2014) weisen darauf hin, dass die marokkanische Denkerlandschaft bis in die 1980er Jahre hinein das Französische als verinnerlichtes Fremdes in sich trug und die Wissenschaftspolitik des 1999 verstorbenen ehemaligen Königs Hassan II, genau darauf abzielte, Heidegger, Kant, Montesquieu und Durkheim aus den Köpfen der marokkanischen Eliten zu vertreiben.
64 Man kann hier auf verschiedene Ansätze zurückgreifen, etwa das Konzept des dialogischen Selbst (Hermans 2001) und Ibn Arabis sufistische Spiegelungen (Vgl. Neumann 1981).
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